Completely satisfactory detectives are extremely rare.
Völlig überzeugende Detektive sind extrem selten.
W. H. Auden. The guilty vicarage. Harper's Magazine, May 1948.
un kommt die Frage, ob nach 1990 nichts Neues in der Detektivliteratur passiert ist? Doch — es gab tausende neuer Romane, aber wirklich neue literarische Entwicklungen lassen sich nicht verzeichnen. Die Analytiker im Stile eines Hercule Poirot haben längst ihre Abschiedsvorstellung gegeben. Reine Detektivromane wurden in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg allmählich von der Position, die sie innehatten, zurückgedrängt. Eine Spitzenposition in der Literatur haben sie niemals besessen — oder nur ganz kurze Zeit.
Hier siedelten sich die suspense novels und thriller an, die Spannungsromane, die die analytischen Werke allmählich ersetzt haben. Ihr literarischer Wert liegt sehr niedrig, und ihr Problemkreis läßt keine tiefgreifenden Überlegungen zu, auch wenn sie als „psychologische“ oder „gesellschaftskritische“ Bücher auf den Markt geworfen werden. Immer mehr Autoren legten Wert auf Sex und Brutalität, Charakterdarstellungen oder Sozialkritik und psychologische Pseudoanalyse statt Handlung. Literatur in unserem Zusammenhang ist aber Graham Greene's entertainment, was schwierig zu schreiben ist.
Mehr gibt es zum Thema Detektivromane und ihrer Abarten nicht zu sagen?
Doch sicherlich, aber dies genügt meiner Meinung nach als Überblick. Es gibt bestimmt hunderttausende solcher Bücher und Kilometer von Sekundärliteratur — obwohl man immer noch etwas dazusteuern kann.
Ein paar Worte im Nachhinein, wieder anekdotisch, einige Punkte, die vielleicht oder wahrscheinlich ebenfalls einen Einfluß auf das Verständnis und die Beurteilung von Romanen haben — wie zum Beispiel von Detektivromanen und Graham Greenes entertainment-Politthrillern:
Ich schreibe in meinen Romanen, was ich gern schreiben und auch lesen will. Aber ich lese auch vieles andere. Und ich schreibe nicht, um Bücher zu verkaufen und möglichst viele Leser einzufangen, sondern zu meinem Vergnügen. Wenn andere daran Freude haben, ist es auch meine Freude.
Viele Autoren schreiben auf der einen Seite für sich selbst, auf der anderen und in erster Linie für ihre Leser. In den meisten Fällen gibt es kein direktes Feedback zwischen den beiden — obwohl Autoren guten Zuspruch, Lob und Hinweise meist freudig aufnehmen — wie: „die auf Seite 278 beschriebene Straße ist nicht die Madison Avenue sondern die Michigan Avenue“ … notfalls auch Berichtigungen von Schreibfehlern, die vom Autor und den Lektoren übersehen wurden.
Es gibt leider auch unfundierte bösartige Kritiken, deren man sich nur durch Nichtbeachtung erwehren kann.
Dann gibt es Leser, die einen Roman nicht von der Wirklichkeit im täglichen Leben unterscheiden können oder wollen. Sie nehmen vieles in einem Spionageroman, zum Beispiel, als Tatsachen an — auch Leser aus „gebildeten“ Kreisen.
Die Äußerungen von Sean Connery („James Bond“) im vorigen Kapitel sind nicht aus der Luft gegriffen, wenn es sich in diesem Fall auch nicht um Bücher, sondern um Filme handelt. Er war nicht James Bond, er hat lediglich eine erfundene Figur gespielt.
Schlimm wird es, wenn Detektivromane oder Polit-Thriller, die in der Ichform geschrieben sind, von manchen Lesern als Autobiographien ausgelegt werden. Bruce Marshall schreibt im Vorwort zu seinem (fast-Detektiv-) Roman The Divided Lady — Die Dame Mila (1960):
So many intelligent persons misinterpret the novelist's trade that I feel I must explain that not only are all the characters and events in this story imaginary, but that the narrator is too and that his creator does not always share his views or commend his conduct.
So viele intelligente Menschen interpretieren das Handwerk des Schriftstellers falsch, daß ich glaube, erklären zu müssen, daß nicht nur alle Charaktere und Ereignisse in dieser Geschichte imaginär sind, sondern daß der Erzähler es auch ist und daß sein Schöpfer nicht immer seine Ansichten teilt oder sein Verhalten lobt.
Ein Großteil der Detektivromane und Polit-Thriller sind auf englisch geschrieben, letztendlich ist es ein englischsprachiges Genre. Die Sprachwahl spiegelt sich auch in der Atmosphäre von Personen und Handlung wider.
Die meisten Leser außerhalb des englischen Sprachraumes lesen die Romane als Übersetzungen. Es gibt gute und schlechte Übersetzungen; viele sind ein Ausverkauf des Originals, im wahrsten Sinne des Wortes. Übersetzer erhalten teilweise mehr für ihre Arbeit bezahlt als der Autor für seine, und die Verleger feilschen um die Preise. Es muß schnell gehen und so billig wie möglich sein. Kaum einen Leser kümmert die literarische Qualität, solange der Inhalt verständlich und nicht zu entstellt ist. Das bezieht sich auf wörtliche Übersetzungen wie „French Window,“ was eine Terrassentür ist und kein französisches Fenster, oder auf idiomatische Ausdrücke und Wortspiele, die oft nicht übersetzbar, aber vielleicht übertragbar sind.
Ein gutes Beispiel ist Flemings James-Bond-Kurzgeschichte The Living Daylights. Der Titel hat nichts mit dem Tageslicht zu tun, sondern geht auf die Redensart "beat/scare the living daylights out of someone" zurück: jemandem eine tüchtige Tracht Prügel verabreichen (aber ihn nicht umbringen). The Living Daylights spielt auf den Ausgang der Geschichte an.
Der deutsche Titel war Der Hauch des Todes, was der Idee der englischen Wendung irgendwo nahe kommt. Eine zweite Übersetzung war Duell mit doppeltem Einsatz, ein vollkommen beziehungsloser Titel.
Bereits Umberto Eco hatte 1965 Probleme mit Übersetzungen in einem Aufsatz bemängelt. Er wählte dafür den ersten Satz aus Ian Flemings Goldfinger aus:
James Bond, with two double bourbons inside him, sat in the final departure lounge of Miami Airport and thought about life and death.
Ein einzelner eleganter Satz im Englischen wird im Italienischen zu:
James Bond stava seduto nella sala d‘aspetto dell‘aeroporto di Miami. Aveva già bevuto due bourbon doppi ed ora refletteva sulla vita e sulla morte.
… und im Deutschen:
James Bond saß im Wartesaal des Flughafens von Miami. Er hatte zwei doppelte Bourbon getrunken und dachte jetzt über Leben und Tod nach.
Beide Übersetzungen sind ungenauer als das Original, und sie sind rau, ohne Grazie. Flemings Satz zeigt sprachliche Meisterschaft, die Übersetzungen eher nicht, obwohl sie flüssig und lesbar sind. Gute Übersetzer sollten talentierte Schriftsteller in ihrer eigenen Sprache sein, ohne den Respekt vor dem Original zu verlieren.
Es ist auch nicht so, dass „Neuübersetzungen“ besser sind als solche, die vor mehreren Jahrzehnten gemacht wurden. Dasselbe gilt für Sekundärliteratur oder für Übersichtsartikel zum Beispiel in ‚Wikipedia‘ oder — digitale wie gedruckte — Buchbesprechungen. Die Güte solcher Veröffentlichungen läuft parallel zur Ausbildung in Schulen und Universitäten: fast überall hat die Qualität in den letzten dreißig Jahren rasant abgenommen. Der Mangel an Wissen und Können, an Allgemeinbildung, der Kenntnis von Geschichte und Geographie sowie ein trauriger Dilettantismus sind offensichtlich.
Allerdings meinte schon Arthur Schopenhauer vor gut zweihundert Jahren in Ueber Schriftstellerei und Stil:
Kurzum, die Deutsche Sprache ist in die Hände des litterarischen Pöbels gerathen, und ich fordre alle denkende Gelehrten auf, sie zu retten. Allgemeine Anarchie herrscht: jeder Tintenklexer springt mit der Sprache um, wie es ihm gefallt, läßt Worte aus, schneidet Silben ab, setzt neue Wörter zusammen, gebraucht alte in einem falschen Sinn, und statt verdienter Züchtgung findet er Bewunderer und Nachahmer.
Viele fühlen sich berufen, aber wenige sind ausersehen. Sie wollen originell sein, aber sie sind eher erbärmlich.
Als Beispiel dazu können die beiden ersten Absätze von Raymond Chandlers The Little Sister — Die kleine Schwester dienen. Chandler war wahrscheinlich der poetischste der großen Autoren von Detektivgeschichten und -romanen. Auch er zeigte sprachliche Meisterschaft. Die folgenden Zeilen zeigen es:
The pebbled glass door panel is lettered in flaked black paint: “Philip Marlowe … Investigations.” It is a reasonably shabby door at the end of a reasonably shabby corridor in the sort of building that was new about the year the all-tile bathroom became the basis of civilization. The door is locked, but next to it is another door with the same legend which is not locked. Come on in — there’s nobody in here but me and a big bluebottle fly. But not if you're from Manhattan, Kansas.
It was one of those clear, bright summer mornings we get in the early spring in California before the high fog sets in. The rains are over. The hills are still green and in the valley across the Hollywood hills you can see snow on the high mountains. The fur stores are advertising their annual sales. The call houses that specialize in sixteen-year-old virgins are doing a land-office business. And in Beverly Hills the jacaranda trees are beginning to bloom.
Die Übersetzung von Peter Fischer; Nest-Verlag/Ullstein (1966):
An der Rauhglas-Türscheibe steht mit abblätternder schwarzer Farbe: „Philip Marlowe … Ermittlungen.“ Es ist eine ziemlich schäbige Tür am Ende eines ziemlich schäbigen Korridors in einem Gebäude von der Art, wie sie ungefähr in dem Jahr neu waren, als das ausgekachelte Badezimmer zur Grundlage der Kultur wurde. Die Tür ist abgeschlossen, aber daneben ist noch eine Tür mit derselben Aufschrift, die nicht abgeschlossen ist. Treten Sie nur näher — es ist niemand weiter drin als ich und eine dicke Brummfliege. Tun Sie es aber nicht, wenn Sie aus Manhattan in Kansas sind.
Es war an einem jener hellen, klaren Sommermorgen, wie wir sie im Vorfrühling in Kalifornien haben, ehe der hohe Nebel einsetzt. Die Zeit des großen Regens ist vorbei. Die Hügel sind noch grün, und in dem Tal jenseits der Hügel von Hollywood kann man Schnee auf den hohen Bergen liegen sehen. Die Pelzgeschäfte werben für ihren Jahresausverkauf. Die Absteigehäuser, die auf sechzehnjährige Jungfrauen spezialisiert sind, machen ein Bombengeschäft. Und in Beverly Hills beginnen die Jacarandabäume zu blühen.
Dies ist eine ästhetische, fließende Übersetzung, die dem Original dicht folgt: Leichtigkeit und Eleganz in einfacher Sprache mit knappen Sätzen
Die Übersetzung von Robin Detje; Diogenes (2020):
„Philip Marlowe … Ermittlungen“ steht in schwarzen Buchstaben auf dem Riffelglas, und die Farbe blättert ab von der recht schäbigen Tür. Sie befindet sich am Ende eines recht schäbigen Flurs in der Sorte Haus, die modern war, als gerade das ganzgeflieste Badezimmer zum Grundpfeiler der Zivilisation erklärt wurde. Die Tür ist abgeschlossen, aber gleich daneben gibt es eine zweite mit der gleichen Aufschrift, die nicht abgeschlossen ist. Keiner zu Hause, nur ich und eine dicke Schmeißfliege — immer herein mit Ihnen: Aber nur, wenn Sie nicht aus Manhattan, Kansas kommen.
Es war einer dieser hellen, klaren sommerlichen Morgen, wie wir sie in Kalifornien im Vorfrühling kennen, bevor der Hochnebel kommt. Es regnet nicht mehr. Die Hügel sind noch grün, und vom Tal gegenüber den Hollywood Hills aus sieht man oben auf den Bergen den Schnee. Die Pelzgeschäfte machen Werbung für den Schlussverkauf, die auf sechzehnjährige Jungfrauen spezialisierten Freudenhäuser boomen. Und in Beverly Hills knospen die Jacaranda-Bäume.
Dies ist eine Übersetzung voller grammatikalischer und teilweise den Inhalt entstellender Fehler, holprig und unschön; sie folgt nicht der Poetik des Autors. Es wird nicht ganz klar, ob der Übersetzer versucht, Marlowe einen "working-class"-Anstrich zu geben oder Chandlers Sprache auf das Niveau zeitgenössischer deutscher Literatur herabzuschrauben. Er begreift auch nicht die Geographie von Los Angeles und seiner Umgebung.
Der Verleger hat sich die Übersetzung wahrscheinlich nicht angeschaut, oder es fehlt ein Lektorat und eine Qualitätskontrolle im Verlag. Reputationen sind schnell ruiniert.
Dabei bleibt Englisch eine recht simple Sprache für Übersetzungen, zum Beispiel, ins Deutsche. Übersetzungen aus dem Französischen sind bei weitem schwieriger oder teilweise unmöglich wegen der vielen Doppel- oder Dreifachdeutigkeiten und Wortspiele, die die Zutaten zu den meisten belletristischen Texten in französischer Sprache sind. Zudem sind sexuelle Anspielungen gang und gäbe; man kann sie in andere Sprachen teilweise aus gesellschaftlichen und ideologischen Gründen nicht ‚übersetzen‘.
Ich habe drei meiner Romane sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch geschrieben und der jeweiligen Sprache angepasst. Der Aufwand dafür ist groß und in einer verlegerischen Routine kaum durchführbar — besonders wenn man sich bemüht, eine hohe literarische Qualität zu erreichen.
Hier stellt sich die Frage, ob es eine ideale Sprache für Detektivromane gibt: de Chamiers Wahl der Sprache für andere und weitere Bücher bleibt — Englisch (zugegeben: gelegentlich mit deutscher Übersetzung).
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Peter de Chamier: Der Detektiv in der Literatur • Ein Essay zum Eigengebrauch. 121 Seiten.
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