There must be no love interest in the story.
To introduce amour is to clutter up a purely intellectual experience with irrelevant sentiment.
Es darf kein Liebesinteressen in der Geschichte geben.
Die Einführung von L‘amour verwirrt eine rein intellektuelle Erfahrung mit irrelevanten Gefühlen.
S.S. van Dine. Twenty Rules for Writing Detective Stories 1936.
ine andere Linie, in der sich der Detektivroman weiterentwickelte, sind die Romane des Sex-and-Crime. Hercule Poirots artige Morde werden von brutalen Verbrechen abgelöst.
Der herausragende Vertreter der Sex-and-Crime-Schreiber war der US-Amerikaner Frank Morrison Spillane (1918-2006), besser bekannt als Mickey Spillane, mit seinen Protagonisten Mike Hammer, einem Privatdetektiv, und Tiger Mann, einem Agenten einer Organisation. Beide kämpfen mit brutalsten Mitteln gegen jeden, sofern er nur einen kleinen Mafia-, später — mit der verstärkten Angst vor der Roten Gefahr — einen kommunistischen Anhauch zeigte.
Mike Hammer brachte in den ersten fünf Büchern, in denen er als Neuyorker Privatdetektiv agiert, allein 48 Menschen um, von denen zumindest 38 noch hätten weiterleben können — ihr Tod war unnötig oder ein Irrtum Hammers. Aus diesem Grunde wurden die ersten acht deutschen Übersetzungen indiziert. Damals fand man oftmals in den Bücherschänken fanatischer deutscher Anhänger der Kriminalliteratur die englischsprachigen Ausgaben dieser Zeit, I the jury (1948), Vengeance is mine (1950), My Gun is quick (1950) oder The big kill (1951).
Auf den Buchumschlägen zeigten sich junge Damen in vielen Übergängen zwischen Be- und Entkleidung.
Viel über Mike Hammers Lebenslauf äußert Spillane in seinen Kriminalromanen nicht. Im Grunde ist Hammer ein nach New York verpflanzter Cowboy, der anstatt gegen wilde Indianer oder übelwollende Banditen zu kämpfen oder einfach Buffalos niederzuknallen, gegen kommunistische Agenten oder von Kommunisten unterstützte Verbrecher zu Felde zieht. Er hat die gesetzlosen Methoden des Wilden Westens übernommen, lediglich die Umgebung hat sich verändert.
Es ist die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und des Koreakrieges und der Beginn der Kommunistenjagden in der USA und überall in der Welt: Anything goes.
Sicherlich hat Mike Hammer wie viele Amerikaner ein Studium absolviert, er war in der Armee und eröffnete schließlich in New York ein Detektivbüro. Im übrigen ist er zweifelsohne ein Sadist und schreckt vor nichts zurück.
Spillane — als Vater dieser Gestalt — scheint sich teilweise mit ihm identifizieren zu wollen. Er scheint Freude an der Grausamkeit zu haben, ebenso wie seine Leser. Mike Hammer übt diese Grausamkeit in Vertretung aus.
Ich trug uns beim Nachtportier ein und führte Renée zum Lift; wir stiegen ein und ich drückte den Knopf zum fünften Stockwerk.
„Dieser Frontalangriff ist faszinierend. Hast du die Couch und den Champagner vorbereitet?“ fragte sie.
„Kein Champagner. Vielleicht ist aber noch eine Sechserpackung Bier im Kühlschrank.“
„Und was ist mit dem Bad? Ich muß mal.“
„Und dies war das Ende einer romantischen Plauderei,“ sagte ich, während die Aufzugtür geräuschlos beiseite glitt.
„Ich muß aber wirklich,“ beharrte sie.
„Niemand hält dich auf,“ sagte ich.
Sie tänzelte mit kleinen Schritten durch den Flur, und um sicherzugehen, daß sie von nichts aufgehalten wurde, eilte ich an ihr vorbei, steckte den Schlüssel ins Schloß und stieß die Tür zu meinem Büro auf.
Stoßen ist nicht der richtige Ausdruck. Sie wurde aufgerissen, während ich den Knopf noch in der Hand hatte, ich stolperte hinein und wußte, daß die Welt über meinem Kopf zusammenfallen würde, wenn meine Reflexe auf derlei Ereignisse unvorbereitet gewesen wären.
Aber es gibt Dinge, die man niemals verlernt. Sie werden einem im Grundwehrdienst eingebläut, man wendet sie in der vordersten Linie an, und dort lernt man auch, was man vorher nicht gewußt hat — man lernts, oder man überlebt nicht.
Ich hechtete eine halbe Rolle abwärts, den Kopf eingezogen, eine Hand bremste den Fall, und die andere griff instinktiv nach der 45er, und da sauste schon etwas Metallisches mir ins Genick und auf die Schultern. Dann weiß man, daß noch Zeit ist, weil es heiß und heftig schmerzt und man noch nicht benommen ist, und die nächsten Impulse setzen instinktiv ein und reißen einen aus der Gewalt des zweiten Schlages.
Ich lag auf den Rücken, stützte mich mit der flachen Hand, mein Fuß schnellte hoch und traf Fleisch und Knochen, und der Schrei erstickte in Ohnmacht und Schmerz. Ich sah den verschwommenen anderen Schatten, schlagbereit, eine schwere Pistole in der Hand, dann flog er auf mich zu, und die Breitseite meiner 45er traf den Schädel mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte. Es waren Zehntelsekunden, die Minuten zu dauern schienen, aber es genügte mir. Zwei Feuerblitze gingen vor meinen Gesicht los, schlugen in den Rücken des Mannes, der auf mir lag, und etwas fetzte mir Haut weg …
Der Tote am Boden blutete noch, und das gab Flecke in Teppich; im Moment fiel mir nur ein, das ich nächstes Mal einen Teppich in praktischerer Farbe kaufen müsse, um die Reinigungskosten zu sparen. Ich drehte ihn mit der Schuhspitze um. Die beiden Kugeln hatten beim Austritt klaffende Löcher in seiner Brust hinterlassen, und der Hieb mit der Waffe hatte sein Gesicht nahezu zerstört, aber man konnte ihn noch erkennen.
Larry Beers würde sein Schießeisen nicht mehr an den Höchstbietenden vermieten. Die Kugel, die durch ihn hindurchgegangen war und mich noch gekratzt hatte, steckte im Teppich, ein deformiertes Stück Metall.
Damit ist eine neue Art des Supermenschen geboren. Der — was immer ihm auch widerfährt — unverletzliche Mike Hammer ist kein geistiger Supermann wie Sherlock Holmes oder Hercule Poirot, sondern ein „Held des zwanzigsten Jahrhunderts“, der zwar auch etwas Geist besitzt, sich jedoch eher auf seine Muskeln und seinen Colt verlässt. Es blieb Mickey Spillane gar nichts anderes übrig, als Mike Hammer zu einem solchen Menschen zu gestalten, da seinen Büchern jedweder gesellschaftskritischer, psychologischer und moralischer Hintergrund fehlt.
Mike Hammer und Tiger Mann setzten ihren eigenen Ehrenkodex fest und sind in ihrer Auffassung von Recht und Gesetz keinesfalls mit der eines Perry Mason oder auch eines Sam Spade zu vergleichen.
Ein Menschenleben zählt für sie nichts. Der detective decalogue, die heiligen Gebote für Schreiber von Detektivromanen aus der Frühzeit der Gattung, ist längst vergessen. Doch wenn auch Mike Hammers Taten oft dem geltenden Recht nicht entsprechen, so haben sie doch des Lesers Sympathie, der — von Spillane geführt — einsehen muß, daß es keinen anderen Ausweg aus einer Situation geben kann, als denjenigen, den sein Detektiv gewählt hat; der Gegner muß unschädlich gemacht werden, da er seinerseits andernfalls dem Detektiv und in der Folge der Allgemeinheit unermeßlichen Schaden zufügen würde.
Daß dieser Schaden im Kommunismus liegt, den Mike Hammers Widersacher einführen wollen, kann nur als Zeitströmung betrachtet werden; als Mickey Spillane seine ersten Romane verfaßte, hatten sich die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten gerade tief verfeindet und einen politischen Kurs eingeschlagen, der auf gegenseitige Konfrontation ausgerichtet war. Bei nachfolgenden Vertretern der Sex-and-Crime-Generation steht anstelle des Kommunismus als Gegner des einzelnen auch die Cosa Nostra (Mafia), oder man findet Verbrechersyndikate, deren Machtübernahme man befürchten muss; ein weiteres Hauptthema ist gelegentlich auch die Bekämpfung des Drogenhandels.
Im Laufe der Zeit werden Bücher dieser Gattung noch unbeholfener und bestialischer, ekelhafter und abstoßender im Handlungsablauf und verwirrter und verwirrender im Schreibstil. Sie spiegeln die Zeitläufte und machen Umsatz.
Nachfolger Mike Hammers gibt es unzählige. Sie bleiben nicht auf die USA beschränkt.
Ein Beispiel aus Frankreich war Jean-Patrick Manchette (1942-1995), teilweise gefeiert als literarischer Genius, teilweise verdammt als Schreiber von minderwertigen französischen pulp novels, der sich in Blut suhlt. Seine Romane sind gewalttätig und abstoßend — was der Hintergedanke Manchettes Geschichten und Romanen ist und aufklärerisch wirken soll. Es sind Geschichten, in denen ‚die da oben‘ private Rachefeldzüge mit Söldnern und gedungenen Mörder durchführen.
Manchette war ursprünglich ein engagierter linker Aktivist, der in späteren Jahren den Kriminalroman als Mittel zum politischen Zweck sah. Er stellte eine Gesellschaft ohne Moral dar, in der mit Verbrechen sehr gut verdient wird und die Polizei immer einen Schnitt macht.
Sein Roman Ô Dingos! Ô Châteaux! erschien 1972; eine Comicbuchausgabe folgte. Der Roman wurde 1973 mit dem Grand Prix de Littérature Policière ausgezeichnet. Einige Leser der lange eingegangenen französischen Ausgabe von Ellery Queen's Mystery Magazine, Mystère Magazine, protestierten gegen diese 'Geschmacksverirrung' ('faute de goût'). Er wurde auch als blutiger Slapstick-Schreiber beschrieben. Ô Dingos! Ô Châteaux! beginnt folgendermaßen:
Der Mann, den Thompson töten sollte — ein Päderast, der den Sohn eines Geschäftsmannes verführt hatte — betrat sein Schlafzimmer. Als er die Tür hinter sich schloß, hatte er noch Zeit, beim Anblick von Thompson zurückzuschrecken, der neben den Türscharnieren an der Wand stand. Dann stach Thompson ihm mit einem starren Bügelsägeblatt ins Herz, das auf einem großen Keilzinkengriff mit kreisförmigem Schutzblech montiert war.
Während das Schutzblech verhinderte, daß das Blut spritzte, pumpte Thompson den zylindrischen Griff kräftig, und das Herz des Homosexuellen wurde in zwei oder mehr Stücke geschnitten. Das Opfer öffnete den Mund, und ein einziger Krampf schüttelte ihn. Sein Rumpf traf die Tür, und er fiel tot um.
Thompson trat zur Seite. In der letzten halben Stunde waren seine Magenkrämpfe fast unerträglich geworden.
Er verließ das Schlafzimmer. Niemand hatte ihn eintreten sehen, niemand sah ihn gehen. Es war zwei Uhr morgens. Thompson hatte um elf einen Termin in Paris. Er machte sich zu Fuß auf den Weg zum Bahnhof Perrache.
Die Krämpfe krümmten ihn. Der Mörder beschloß, sein Handwerk aufzugeben. Bald. Jedes Mal war es schlimmer. In den letzten zehn Stunden hatte er nichts essen und trinken können. Nun, da er getötet hatte, nagte der Hunger schrecklich an ihm. Schließlich erreichte er das Bahnhofsbuffet.
Er bestellte eine Sauerkrautplatte und verschlang sie. Er bestellte eine weitere, die er genoß. Sein Magen hatte sich beruhigt. Sein Verstand ebenfalls: Thompson hatte gerade eine ordentliche Summe Geld verdient. Es war drei Uhr morgens. Der Mörder bezahlte seine Rechnung, kehrte zu seinem grauen Rover zurück, der an einer Parkuhr abgestellt war, und steuerte die Autobahn A6 an.
Die Schilderung der Ermordung ist bestialisch, am Rande des Erträglichen, außerhalb „der guten — auch literarischen — Sitten“. Es ist so gewollt. Aber der literarische Detektivroman verendet in diesen Büchern als reißerische und widerwärtige pulp fiction. Die explizite Gewalt in diesen Büchern schreckt viele Leser ab, an andere verkauft sie sich gut.
Deutsch oder in diesem Fall französisch, das Ansehen von nicht-angloamerikanischen Kriminalromanen scheint nicht sehr groß zu sein — oder wie der Chef der türkischen Geheimpolizei, Colonel Haki, dem fiktiven britischen Detektivromanautor Professor Latimer in Eric Amblers The Mask of Dimitrios (1939) auseinandersetzt:
“I get all the latest romans policiers sent to me from Paris. I read nothing but romans policiers … Especially I like the English and American ones. All the best of them are translated into French. French writers themselves, I do not find sympathetic. French culture is not such as can produce a roman policier of the first order …“
Wobei man wie immer sagen muß: Ausnahmen bestätigen die Regel.
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Peter de Chamier: Der Detektiv in der Literatur • Ein Essay zum Eigengebrauch. 121 Seiten.
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