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Peter de Chamier
Der Detektiv in der Literatur • Kapitel 1

Einführung

Many people do not realize that there is such a thing as a good de­tec­tive story; it is to them like speak­ing of a good devil.

Viele Leute bemerken gar nicht, daß es so etwas wie eine gute De­tek­tiv­ge­schich­te gibt; für sie ist es, als spräche man von einem guten Teufel.

Gilbert Keith Chesterton. A Defence of Detective Stories. 1901.


er Verfasser hat diesen Essay vor einiger Zeit ge­schrieben, um sich selbst einen klei­nen Über­blick über die De­tek­tiv­ge­stal­ten in der Li­te­ra­tur zu ver­schaf­fen und zu ver­su­chen, die klas­si­schen Cha­rak­te­re und teil­wei­se auch die Hand­lungs­ab­läufe zu be­schrei­­ben. Wie kam der De­tek­tiv ins Buch, und wie hat er sich ent­­wickelt? Es ist ein kur­zer his­to­ri­scher Ex­kurs ohne Ver­­such der Voll­stän­dig­keit, kei­ne en­zy­klo­pä­di­sche Ab­hand­­lung, eher ein Spa­zier­gang durch eine Reihe von Bü­chern und Kurz­ge­schich­ten, an­ge­mes­sen und pas­send für einen Aus­tausch un­ter Freun­den am Tisch des Kleinen Café.

Dieser rasche Schwenk durch die Li­te­ra­tur war an sich nicht zur Ver­öf­fent­li­chung be­stimmt, sondern nur dazu her­­aus­zu­finden, wo die ei­ge­nen Bü­cher in der Li­te­ra­tur ste­hen oder stehen sollen. Aber jetzt soll damit auch die Frage be­ant­wor­tet wer­den, die ei­ni­ge meiner Leser ge­le­gent­lich stel­len:

„Hast Du einen neuen Detektivro­man geschrieben?“

Meine persönliche Antwort ist: Ich schreibe keine Detek­tivromane, zumindest nicht im ursprünglichen Sinne dieser Gattung; kaum jemand schreibt heutzutage noch De­tek­tiv­ro­­mane. Ich schreibe Bücher, die als political thrillers angebo­ten wer­den, was eine passende Beschreibung sein kann, aber ih­nen nicht vollkommen gerecht wird. Un­ter­hal­tung und Spannung: ja, unbedingt; Gesellschaftsbeschreibung: ja, gewollt; Literatur: natürlich; Geschichte und Geschich­ten. Es ist schwierig sie in eine Gattung zu pressen: Sind es Abenteuerromane, Spionageromane, Entwicklungsro­mane, en­ter­tain­ments im Sin­ne von Graham Greene — oder vielleicht Satiren?

Vor allem in Deutschland werden Detektivromane nicht als literaturwürdig an­ge­se­hen:

spaceholder red  Der Detektiv-Roman, den meisten Gebildeten nur als au­ßer­litera­risches Mach­werk be­kannt, ist all­mählich zu ei­ner Stellung aufgerückt, der Rang und Bedeutung nicht wohl abgesprochen werden können (Sigmund Kracauer, 1925).

Andere sehen das noch bestimmter: Der Belgier George Si­menon, der Vater von Kom­mis­sar Mai­gret, war ganz versessen dar­auf, den Literaturnobelpreis zu erhalten — allerdings nicht für Maigret, sondern für seinen anderen literarischen Werke. Der Schweizer Fried­rich Dürrenmatt benutzte in seinen Kriminalerzäh­lungen und -romanen teilweise das Muster und Skelett des Detek­tivromans, und er wurde zumindest zum No­bel­­preis­trä­ger vorgeschlagen, ebenso Graham Greene, der jahrelang seit seiner ersten No­mi­nie­rung 1950 in die engere Wahl gezogen worden war — und den Preis nicht er­hielt.

In The Simple Art of Murder schrieb Raymond Chandler 1950 über Dashiell Hammett und die Literaturgattung des Detektivromans in ihrer modernen Fassung nach dem Zweiten Weltkrieg (erst das ameri­kanisch-englische Original, dann eine deutsche Übertra­gung):

spaceholder blue  Hammett was the ace performer, but there is nothing in his work that is not im­pli­cit in the early novels and short stories of Hemingway. Yet for all I know, Hem­ingway may have learned something from Hammett, as well as from writers like Dreiser, Ring Lardner, Carl Sandburg, Sherwood Anderson and himself.

 A rather revolutionary debunking of both the language and material of fiction had been going on for some time. It probably started in poetry; almost everything does. You can take it clear back to Walt Whitman, if you like. But Hammett applied it to the detective story, and this, because of its heavy crust of English gentility and Ameri­c­an pseudo-gentility, was pretty hard to get moving …

 In everything that can be called art there is a qual­ity of redemption. It may be pure tragedy, if it is high tragedy, and it may be pity and irony, and it may be the raucous laughter of the strong man.

spaceholder red  Hammett war der Genius, aber es gibt nichts in seinem Werk, was nicht in den frü­hen Ro­ma­nen und Kurz­ge­­schich­ten von Hemingway enthalten ist. Doch wie ich an­nehme, hat Hemingway vielleicht etwas von Hammett gelernt, aber auch von Schriftstellern wie Dreiser, Ring Lardner, Carl Sandburg, Sherwood Anderson und sich selbst.

 Eine deutlich revolutionäre Entmystifizierung so­wohl der Sprache als auch der Stof­fe der Belletristik war schon seit einiger Zeit im Gange. Es begann wahrschein­lich in der Poesie; fast alles tut das. Man kann es auf Walt Whitman zurückführen, wenn man will. Aber Ham­mett wandte es auf die Detektivgeschichte an, und das war we­gen ihrer schweren, harten Schale aus englischer Vor­nehmheit und amerikanischer Pseudo-Vornehmheit ziem­lich schwer zu bewerkstelligen …

 In allem, was man Kunst nennen kann, klingt ein Be­zug zur Erlösung mit. Es kann reine Tragödie sein, wenn es hohe Tragödie ist, und es kann Mitleid und Ironie sein, und es kann vielleicht das raue Lachen des starken Mannes [des Detektivs] sein.

Es gibt — wie überall — literarisch beachtenswerte Bücher in dieser und in ver­wand­ten Kate­go­rien, und ganz miese. Es gibt Whodunits, die man einmal liest und dann nie wieder, und andere Romane, die man gerne wieder liest, weil der Stil und der Inhalt einen anziehen … und es erst in zweiter Linie wichtig ist, wer der Täter ist.

Und — wird nicht ein Großteil der schönen Literatur von Ver­ge­hen und Ver­bre­chen angetrieben? Im übrigen: Honi soit qui mal y pense — in der Auslegung dieses Mottos, die jedem selbst am besten zusagt — cha­cun à son goût.

Der Kriminalroman läßt sich aus dem heutigen Leben ebenso wenig wegden­ken wie das Auto oder die Wasch­maschine. Auf viele Menschen aller sozialen Schich­ten strahlt er so unwiderstehliche Anziehungskraft aus, daß er sich so­gar zu einer Untugend entwickeln kann, wie der englische Poet und Schriftstel­ler Wystan Hugh Auden in sei­nem Essay The Guilty Vicarage (Harper's Magazine, May 1948) freimütig zugab:

spaceholder blue  For me, as for many others, the reading of detective stories is an addiction like to­bac­co or alcohol. The symptoms of this are: Firstly, the intensity of the craving — if I have any work to do, I must be careful not to get hold of a detective story for, once I begin one, I cannot work or sleep till I have finished it. Secondly, its specificity — the story must conform to certain formulas (I find it very difficult, for example, to read one that is not set in rural England). And, thirdly, its immediacy. I forget the story as soon as I have finished it, and have no wish to read it again. If, as sometimes happens, I start reading one and find after a few pages that I have read it before, I cannot go on. …

spaceholder red  Für mich, wie für viele andere, ist das Lesen von Detektivgeschichten eine Sucht wie Tabak oder Alkohol. Die Symptome dafür sind: Erstens die Intensität des Ver­lan­gens — wenn ich etwas zu tun habe, muss ich aufpassen, dass ich keine De­tek­tiv­ge­schich­te in die Finger bekomme, denn wenn ich einmal mit einer angefangen habe, kann ich weder arbeiten noch schlafen, bis ich sie zu Ende gelesen habe. Zweitens, die Besonderheit — die Geschichte muss bestimmten Schemen folgen (ich finde es zum Beispiel sehr schwierig, eine Geschichte zu lesen, die nicht im ländlichen Eng­land spielt). Und drittens: die Unmittelbarkeit. Ich vergesse die Geschichte, sobald ich sie beendet habe, und habe keine Lust, sie noch einmal zu lesen. Wenn ich, wie es manchmal vorkommt, ein Buch anfange zu lesen und nach ein paar Seiten fest­stelle, dass ich es schon einmal gelesen habe, kann ich nicht fortfahren. …

Diese Sätze mag man als etwas zu weit gegriffen be­trachten, sie treffen aber im Kern genau das, weswegen Kriminalro­mane gelesen und geliebt werden. Sie dienen zur Un­ter­hal­­tung, zur Entspannung und Ablenkung nach der Arbeit; dar­aus folgt, dass sie meistens keine großen geistigen Leistun­gen vom Leser verlangen, daß der Leser höch­stens ge­reizt wird, sich Gedanken um den mög­lichen Täter des begange­nen Ver­bre­chens zu machen.

So läßt sich auch erklären, warum der Kriminalroman einen bedeutenden Anteil am Büchermarkt besitzt. Besond­ers in den wohlfeilen Taschen­buch­aus­gaben erschei­nen pro Monat in Deutschland mindestens vierzig dieser Bücher, in den USA sind es bei weitem mehr. Für den Liebhaber dieser Literaturgattung ist es unmöglich, alle Neu­er­schei­nun­gen ken­nen­zu­ler­nen, falls er nicht jeden Tag ei­nige Romane le­sen will.

Er liest nur dieses oder je­nes, den Schriftsteller, dem er sich verschworen hat, Bü­cher mit dem Protagonis­ten, mit dem er sich verkör­pern kann, das Buch, das die Wer­bung oder ein Rezensent ge­rade gelobt oder getadelt ha­ben, oder er liest nur die Bü­cher eines bestimmten Verlages. Vieles andere bleibt ihm unbekannt und ver­schwin­det im Laufe der Zeit so lautlos, wie es gekommen ist.

Manches jedoch lebt weiter, es wird immer wieder neu aufgelegt und immer noch ge­le­sen, Bücher von längst ver­storbenen Schriftstellern wie Poe, Ches­terton, Doyle oder auch Wallace, Chandler oder Fleming, die teilweise zu Klas­sikern geworden sind.

Fast alle der großen frühen Kriminalschriftsteller stam­men aus dem anglo-ame­ri­ka­ni­schen Raum. In diesen Ländern unterteilt man den Kriminalroman, den man im Deut­schen nur unter diesem Namen kannte, in verschie­dene Kategori­en. Der Engländer kennt erstens die detecti­ve story oder detecti­ve novel, die sich am weitesten von allen Kriminalgeschicht­en zurückführen läßt. In ihr spielt — wie der Name schon sagt — ein De­tek­tiv die Hauptrolle.

Des Weiteren unterscheidet man unter einem Oberbegriff mysteries die crime novel (amerika­nisch suspense novelSpannungsroman), die im Laufe des zwanzigsten Jahr­hun­derts entstand. Es handelt sich dabei um eine Weiterentwicklung der detective story. Beide Kri­minalromanarten überlappen sich teilweise in ihrem Aufbau; die crime novel betont jedoch stärker des Verbrechen und dessen Motivation als die Arbeit des De­tektivs. Ein thriller ist ein reißerischer Kriminalroman jedweder Prägung.

Auch die spy novel, der Spionageroman, wird heute zur Gattung der Kriminalromane gezählt. Sie entstand je­doch un­abhängig vom Detektivroman, fand sich aber mit ei­ni­gen Erzählern dieser Gattung zu Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit dem Detektivroman zu­sammen und bildet jetzt mit ihm bis auf wenige Ausnah­men eine Ein­heit als entweder wirklichkeitsgetreue oder zumindest wirklich­keitsnahe oder als phan­tas­ti­sche Er­zählung — mit vielen Zwischenstufen, wie zum Beispiel dem oftmals mehr literarischen political thriller — der wiederum nicht reißerisch ist wie ein thriller.

Generell betrachtet verlaufen die Gattungen oftmals ineina­nder, es gibt zahlreiche Hybride.

Häufig können die in diesen Romanen agierenden Detekti­ve als ein Spiegelbild ihrer Zeit betrachtet werden. Doch alle Detektive, die es jemals gab, aufzuzäh­len, stellt eine Sisy­phusarbeit dar; das Vorhaben, auf alle bekannt gewordenen Detektive ein­zu­gehen, ist ebenfalls unaus­führbar. So begnü­gen wir uns hier damit, die — subjektiv — wichtigsten Hel­den dieses Genre aufzuzeigen und kurz auf sie einzugehen.

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Peter de Chamier: Der Detektiv in der Li­te­ra­tur • Ein Essay zum Ei­gen­ge­brauch. 121 Seiten.
Dritte Auflage 2023 | e-Fassung
© 2023 by Peter de Chamier.

www.de-chamier.com


Inhalt

Vorstellung

Einführung
Die Vorläufer
Edgar Allan Poe
Sherlock Holmes
Holmes’ Nachfolger
Hercule Poirot
Blick nach Amerika
Kommissar Maigret
Hard-boiled
Und in Europa?
Made in Germany
Sex and Crime
Spionageromane
Epilog

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