enn das instinktive Verhaltensmuster: spontaner Aufbau eines Aktionspotentials, Anstrengung um ein Ziel zu erreichen, Erfolg der Anstrengung, Erfolgserlebnis mit Lustgewinn und Gefühl der Entspannung — also der spontane Energiezyklus — angeboren ist, muß gefolgert werden, daß ein gestörtes oder geändertes Gleichgewicht in diesem Zyklus zu einer Störung in der Verhaltensökonomie führen muß, die Spannungen erzeugt. Eine Verhaltensstörung, die übrigens bei Tieren, die in Gefangenschaft leben, gut zu beobachten ist.
Die in unserer Wohlstandsgesellschaft am weitesten verbreitete Störung des natürlichen Gleichgewichtes im erwähnten Muster ist die Verwöhnung. Dank seinen kognitiven Fähigkeiten hat es der Mensch verstanden, sich Werkzeuge und Mittel zu schaffen, die die natürliche Anstrengung, die in der Natur zur Triebbefriedigung erforderlich ist, wenn nicht ganz beseitigt, so doch erheblich erleichtert hat. Die Notwendigkeit der Nahrungsbeschaffung zur Stillung des Hungers, beim Urmenschen die Hauptbeschäftigung zu seiner Erhaltung, erfordert in der modernen Gesellschaft keine richtige körperliche Anstrengung im stammesgeschichtlichen Sinne mehr.
Es gibt Zahlen die dies eindrücklich belegen: Der Anteil der dem Menschen zur Verfügung stehenden Lebenszeit (unter Abzug der zum Essen und Schlafen benötigten Zeit), die der Arbeit gewidmet ist, ist von 1900 bis 1990 um den Faktor 2,5 von 23,5% auf 9,7% gesunken [6]. Ähnlich steht es um alle übrigen Grundbedürfnisse des Lebens. Das komfortable Leben mit fließendem Wasser, Auto, und Wohnungen mit Aufzug haben für viele Menschen die für die Lebensbedürfnisse notwendige Anstrengung auf ein Minimum reduziert. Dadurch werden große Energiepotentiale frei, die anderweitig eingesetzt werden müssen, um abgebaut zu werden.
Der zivilisierte Mensch kann dies auf vielfältige Art tun. Er kann diese Potentiale zum Beispiel in einer anstrengenden Arbeit einsetzen oder in die wissenschaftliche Forschung oder in die künstlerische Schöpfung investieren. Sport ist eine weitverbreitete, immer beliebtere Art, um dieses angeborene Verhaltensmuster ritualisiert auszuleben und den in unserer zivilisierten Welt zu wenig geforderte Körper zu fordern. Der Ablauf von Antrieb, Anstrengung im Training und Wettkampf und mit Lustgefühlen begleitetem Erfolg, kommt im Sport exemplarisch zur Darstellung. Jedem Zuschauer eines Fußballspiels sind die Bilder des vollen Einsatzes der Spieler und deren Freudentaumel nach geschossenem Tor wohl vertraut, genauso wie die Bilder des Glücksgefühls des Athleten bei der Entgegennahme einer Medaille.
Als Verwöhnung im verhaltensbiologischen Sinn versteht man somit die Möglichkeit, im instinktiven Verhaltensmuster das Lustgefühl der Instinkthandlung gemäß dem Gesetz der doppelten Quantifizierung durch höheren Reiz bei geringem Antrieb mit nur geringer Anstrengung und ohne Aufschub zu erreichen. In der Erziehung bedeutet Verwöhnung, daß das Kind seine Wünsche sofort befriedigt bekommt.
Falls der Mensch die Spontanpotentiale nicht anderweitig abbaut, gerät er in einen Teufelskreis: Die Lust des Erfolgserlebnisses kann immer öfter mit immer geringerer Anstrengung erlebt werden. Die Maschinen haben dem modernen Menschen die körperliche Anstrengung der Routinearbeit abgenommen, die Computertechnik führt zu ähnlichen Resultaten im geistigen Bereich. Der ungenügende Abbau der spontanen Energiepotentiale führt zur erwähnten Störung im Haushalt der Instinkte, die von Unlustgefühlen und Unzufriedenheit begleitet ist. Es kann sich aggressive Langeweile einstellen.
Die Wohlstandsgesellschaften befinden sich in einer tiefen Krise, die mit dem beschriebenen angeborenen instinktiven Verhaltensmuster des Menschen eng zusammenhängt. Der Mensch lebt in einem immerwährenden Spannungsfeld zwischen den spontanen Energien (die uns im Zusammenhang mit dem Aggressionstrieb näher beschäftigen werden), die ihn zu neuen Ufern und zum Fortschritt antreiben, und dem der Reflexion entstammenden Bedürfnis nach Sicherheit und Bewahrung des Erreichten. Dieses Spannungsfeld ist insofern konfliktreich, als die Spontantriebe zur Dynamik und Veränderung treiben, wogegen das Bedürfnis der Vernunft nach Sicherheit im Widerspruch zur Veränderung steht, die immer mit Ungewißheit und mit den Risiken des Unbekannten verbunden ist und somit den Abbau dieses Antriebspotentials verhindert, was wiederum von unbewußten Unlustgefühlen und Unzufriedenheit begleitet wird. Diese Störung im Bereich des Instinktlebens wird durch den Versorgungsstaat verstärkt, der zwar dem Bedürfnis nach Sicherheit entgegenkommt, jedoch gleichzeitig der Dynamik des angeborenen Strebens nach neuen Zielen dem im Instinkt verankerten Verhaltensmuster im Weg steht.
Im gleichen Sinne wirkt das sozialistische Postulat der als soziale Gerechtigkeit bezeichneten Umverteilung des Reichtums. Dies ist ein ideologischer Irrweg, der in keiner Weise die Befindlichkeit der Menschen verbessert.
Es ist eine kaum zu widerlegende Feststellung, daß die Menschen in den reichen Versorgungsstaaten zwar wohlhabender, aber nicht glücklicher leben, als die in den ärmeren Gesellschaften. Ganz im Gegenteil, die Verwöhnung schafft Unzufriedenheit, denn nicht der Wohlstand macht den Menschen zufrieden, sondern die Möglichkeit nach Wohlstand zu streben, und dies wird vom Versorgungsstaat behindert.
Dieser Konflikt kommt besonders in der Arbeitswelt zum tragen. Der Arbeitnehmer möchte immer einen sicheren Arbeitsplatz. Der sichere Arbeitsplatz (zum Beispiel als Staatsbeamter) bietet aber geringe Möglichkeiten den spontanen Energiezyklus im Beruf auszuleben, was zur Unzufriedenheit führt. Mit diesem instinktiven Verhaltensmuster ist auch das bekannte Parkinson-Prinzip in der Bürokratie zu erklären: Der spontane Energiezyklus wird mit einer Aufblähung des bürokratischen Apparates abgebaut.
Wer in dieser Situation im privaten Lebensbereich zum Beispiel durch Sport, handwerkliche Tätigkeit oder Musizieren zu einer Befriedigung dieses Triebes kommt, findet auch in einem solchem Beruf zu einem zufriedenen Leben.
Ein ähnliches Schicksal trifft reiche Erben. Wenn sie nicht in eine fordernde Aufgabe eingebunden werden und dank ihrem Reichtum sich jeden Wunsch leicht erfüllen können, kommt es zu erheblichen Verhaltensstörungen. Beispiele füllen die Klatschspalten der Zeitungen.
In verhängnisvoller Weise machen sich Politiker und Gewerkschaftler die durch Verwöhnung verhaltensbiologisch begründete, unbewußte Unzufriedenheit zu Nutzen, um mit immer höher geschraubten Forderungen die Gunst der Wähler und Gewerkschaftsmitglieder zu gewinnen. Sofort nach der Entspannung durch eine erfüllte Forderung fängt der Aufbau eines neuen Potentials der Unzufriedenheit an. Der Verstand reagiert auf dieses Gefühl mit einer Spirale von Forderungen — nach dem Prinzip der doppelten Quantifizierung, mit immer geringerer Anstrengung ständig mehr zu erreichen — die den Versorgungsstaat unweigerlich in den Ruin treiben muß.
Die Verwöhnung hat aber auch andere negative Folgen. Mit der Zeit verliert der verwöhnte Mensch die Bereitschaft, ja sogar die Fähigkeit, die stammesgeschichtlich vorgesehene Anstrengung auf sich zu nehmen, die es zu Befriedigung seiner instinktbedingten Bedürfnisse bedarf; er wird von der Hilfe immer abhängiger (auf den gleichzeitigen Verlust des individuellen Solidaritätssinnes im Versorgungsstaat soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden).
Im Falle der Not wird er hilflos, hoffnungslos, frustriert und resigniert, was in einer wirtschaftlichen Rezession deutlich zum Vorschein kommt. Gleichzeitig stauen sich mit Frustration und Unzufriedenheit immer stärkere, gefährliche, nicht abgerufene Energiepotentiale auf, die in sozialen Unruhen münden.
In engem Zusammenhang mit dem Gedanken der Umverteilung im Wohlfahrtsstaat, steht die für den Rationalistischen Konstruktivismus typische Milieutheorie, der Behaviorismus, wie ihn John B. Watson [7] im Jahre 1930 vertreten hat.
Diese Theorie geht von der Annahme aus, der Mensch sei bei seiner Geburt eine Tabula rasa, ohne angeborene, genetisch verankerte Verhaltensmuster, und alle Menschen seien bei Geburt gleich. Diese Theorie in ihrer reinen Form hat heute in der Wissenschaft keinen Platz mehr, in der Politik hingegen besteht die verhängnisvolle Tendenz, solche Theorien zu sich lange haltenden Ideologien umzufunktionieren – Ideologien, die den Politikern die Möglichkeit bieten, die Dinge in nicht stichhaltiger Weise zu simplifizieren und über die Tatsache hinwegzutäuschen, daß es keine einfachen Probleme gibt, wie dies Karl Popper formulierte.
Die Idee der Gleichheit aller Menschen entspringt einem durchaus wohlgemeinten menschlichen Ideal, doch entspricht sie nicht der Realität in der Natur. Nicht alle Tiere der gleichen Art und Rasse sind unter sich gleich, einige Exemplare haben große Überlebenschancen, andere sind dem Untergang geweiht — es findet eine natürliche Selektion statt.
Gerade diese Vielfalt der Natur, in der die verschiedenen Eigenschaften der Lebewesen eine zufällige Verteilung erfahren, stellt ihren Reichtum und ihre Faszination dar und ermöglicht erst die Evolution, denn die durch die Ungleichheit erzeugte Spannung ist die notwendige Voraussetzung dazu.
Verständlicherweise findet das Ideal der Gleichheit bei den Wählern großen Anklang: Welcher Bürger will nicht gerne zuhören, wenn ihm die Politiker weismachen, daß in einer gerechteren Welt jeder Mensch die Möglichkeit hätte, über die gleichen Güter wie sein reicher Nachbar verfügen zu können, und daß die äußeren Lebensumstände und nicht Leistungen für die Ungleichheiten verantwortlich sind.
Dieses Ideal wird politisch schamlos dazu mißbraucht, bei den weniger erfolgreichen Individuen den sozialen Neid zu schüren und für sich auszunützen. Es ist eine irrige Doktrin zu behaupten, daß es nur Arme gibt, weil „die Gesellschaft“ ungerecht ist. Die Geschichte der Menschheit beweist, daß die Armut eine Erscheinung ist, die in allen Gesellschaften unabhängig von Staatsform und Volksreichtum anzutreffen ist und zur Ungleichheit der Menschen gehört.
Aus diesen Gründen ist es nicht folgerichtig und haltbar, wie dies die sozialistische Doktrin tut, moralisch die Reichen für die Armut der Armen verantwortlich machen zu wollen. Das ist ein entscheidender Denkfehler, der übrigens auch eine andere Tatsache verkennt, die den wirtschaftlichen Niedergang der egalitaristischen Gesellschaften beschleunigt. Das der Leistung entsprechende Einkommen wird im egalitaristischen Versorgungsstaat durch gleichen Lohn für gleiche Arbeit ersetzt — mit der Folge einer Leistungsminderung: Wer für seine Arbeit höher als seine erbrachten Leistungen entlohnt wird, wird kaum zur Leistung angeregt, wer unter seiner Leistung bezahlt wird, wird seine Leistung mindern. Nur die Ungleichheit der Belohnung fördert die Zufriedenheit und wirtschaftliche Leistung.
Es sei daran erinnert und hervorgehoben, daß dieses Verhalten den Betroffenen (der Moral hazard) nicht bewußt und somit nur schwer zu bekämpfen ist. Diese aus der Wirtschaftslehre bekannte Tatsache (zum Beispiel: Friedrich L. Sell [8]) hat insofern auch einen verhaltensbiologischen Ursprung, als der Egalitarismus dem angeborenen instinktiven Zyklus falsche Reize gibt.
Siebzig Jahre kommunistischer Diktatur haben bewiesen, daß diese Reaktion der Menschen einem stammesgeschichtlich entstandenen, angeborenen, instinktmäßigen Muster entspricht, das sich jeder durch die Vernunft mit Gewalt erzwungenen Änderung entgegenstellt. Es ist bedauerlich, daß diese Erkenntnisse und das Wissen der Verhaltensforschung noch nicht ins allgemeine Wissen eingegangen sind. Das tiefe Niveau der diesbezüglichen Bildung der Politiker ist ernüchternd. Statt das unveränderbare angeborene, menschliche Verhalten, wie die Geschichte lehrt, erfolglos verändern zu wollen, wäre es weit erfolgreicher, es zu verstehen und entsprechende realistische Lösungen zu suchen, die es berücksichtigen.
Der englische Journalist James Bartholomew hat eine ausführliche Analyse [9] des englischen Wohlfahrtstaates gemacht und ist zu einem vernichtenden Schluß gekommen.
Es war ja nicht so, daß es in England vor der Einführung des Welfare durch die Labour-Regierung keine Institutionen zum Auffangen der Armut gegeben hätte. Diese Funktion wurde von meistens sehr effizienten, privaten und kirchlichen Institutionen übernommen, die von den Reichen finanziert wurden. Die Verteilung der Hilfe stand in der Verantwortung der Geistlichen und wurde persönlich und individuell gehandhabt, was Mißbräuche erschwerte.
Aus seiner Analyse des Englischen Versorgungsstaates sei beispielhaft das Problem der Hilfe an nicht geschiedene, alleinerziehende Mütter erwähnt. Daß eine solche Hilfe ihre moralische Berechtigung hat ist unzweifelhaft, dennoch hatte sie im Endresultat in vielen Fällen katastrophale Auswirkungen, nicht nur für die Staatsfinanzen.
Nach Einführung einer großzügigen Staatshilfe ist die Anzahl der alleinerziehenden Mütter im Teenageralter ohne eine eheliche oder feste Beziehung zu einem Mann sprunghaft gestiegen und ihr Alter gesunken. Um die Staatsunterstützung nicht zu verlieren, arbeiten diese Mütter meistens nicht, denn für ein nur wenig verbessertes Einkommen, lohnt sich die Mühe der Arbeit kaum: das Leben solcher vom Staat unterstützten Frauen wird zu einer Existenz ohne Perspektiven eines Aufstiegs.
Diese Frauen leben oft in unverbindlichen, unsteten Partnerschaften mit wechselnden Männern, ohne heiraten zu wollen, um die Rente nicht zu verlieren. Männer, die sich der Verantwortung gegenüber den Kindern ihrer Partnerin entziehen, sind eine schlechte Lösung für das Leben der Kinder. Man hat festgestellt, daß Adoptivväter sich 32mal häufiger des Kindesmißbrauchs schuldig machen als leibliche Väter. Kinder alleinerziehender Mütter zeigten wesentlich schlechtere Schulleistungen. Schließlich lag die Selbstmordrate dieser Frauen und ihrer Kinder wesentlich über dem Durchschnitt.
Alle diese Fakten sind den Betroffenen natürlich nicht bewußt, sie verhalten sich einfach gemäß den Anreizen – ein ethisches Dilemma, dem man nur mit einer intensiven, persönlichen, menschlichen Unterstützung dieser Mütter begegnen könnte. Das interessante an Bartholomew ist, daß er sich in seiner Kritik nicht speziell auf die wirtschaftlichen, sondern vor allem auf die negativen menschlichen Folgen des Versorgungsstaates konzentriert hat.
Wie wir mit diesem Beispiel gezeigt haben, führt wegen der verhaltensbiologischen Anlage des Menschen die Erfüllung immer höherer Forderungen durch den Versorgungsstaat zu Verwöhnung, verbunden mit Unlustgefühlen und Unzufriedenheit, was zu immer neuen Forderungen führt: ein Teufelskreis.
Einmal zugestandene Leistungen des Staates, seien sie rational noch so ungerechtfertigt, sind politisch deswegen kaum rückgängig zu machen, weil dies dem angeborenen instinktiven Verhaltensmuster entgegen läuft. Dies ist die Erklärung dafür, daß es gegen den Verstand politisch fast unmöglich ist, einmal zugestandene Leistungen des Staates zurückzunehmen. Die beste Organisation eines Staates ist die, die sich darauf beschränkt, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es jedem einzelnen Menschen erlauben, durch eigene Leistung und auf eigene Verantwortung immer neue Ziele anzustreben, seine Situation zu verbessern und somit den natürlichen Ablauf des instinktiven Verhaltensmusters zu ermöglichen. In der Sprache der Politik heißt dies: „Gleiche Chancen für alle“.
Nur eine derartige Organisation fördert den Wohlstand und die Zufriedenheit des Menschen, denn Anstrengung ist eine stammesgeschichtlich programmierte, angeborene Notwendigkeit. Bartholomew weist darauf hin, daß es keine idealen Lösungen für dieses Dilemma gibt. Auf das Schweizer Sozialsystem hinweisend könnten nach seiner Meinung die negativen Folgen der Sozialhilfe durch ein so dezentral wie möglich organisiertes Sozialwesen, das individuell Hilfe leistet, minimiert werden.
Selbstverständlich gibt es in jeder Gesellschaft eine Anzahl Menschen, die — ohne eigenes Verschulden — dieser Aufgabe nicht gewachsen sind und Hilfe benötigen. Alle sind sich auch darüber einig, daß der Mensch als reflektierendes und lernfähiges Wesen nicht von der moralischen Verpflichtung befreit werden darf, die Armut in der Gemeinschaft zu lindern.
Bei der ethisch gebotenen Hilfe des Staates muß aber genau darauf geachtet werden, daß sie nicht zur Verwöhnung entartet und zu Mißbrauch animiert. Das könnte man so formulieren: „Es ist eine Pflicht des Staates den Armen zu helfen, aber es ist kein Recht des Armen diese Hilfe einzufordern.“ Sobald die Staatshilfe ein Recht wird, verändert dies unbewußt das Verhaltensmuster der Empfänger. Eine ungerechtfertigte Staatshilfe fördert die Verwöhnung mit all ihren Nachteilen. Man muß der vereinfachenden Illusion entgegentreten, wirtschaftliche Hilfe des Staates allein könne alle Probleme der Armut der Menschen lösen: sie ist höchstens eine Voraussetzung dazu. Eine als Rechtsstaat organisierte Gesellschaft braucht verbriefte Spielregeln, die es jedem Bürger erlauben, im Wettbewerb bestehen zu können, aber auch zu müssen.
Das Fehlen solcher Bedingungen ist besonders in Entwicklungsländern ein großes Übel. Das von den reichen Ländern zur Verfügung gestellte Geld fließt in wenige Taschen korrupter Politiker und Geschäftsleute, und für die Ärmeren eröffnet sich kaum eine Chance aus eigener Kraft, die eigene Lage zu verbessern. Dies führt zu Hoffnungslosigkeit und Resignation, was einer Lähmung des angeborenen Verhaltensmusters entspricht.
Deswegen sollte auch die Hilfe an die Ärmsten verhaltensbiologisch angepaßt sein. Für jede Entwicklungshilfe muß vom Empfänger eine Gegenleistung gefordert werden — sei sie noch so bescheiden, damit das angeborene Verhaltensmuster zur Selbsterhaltung angeregt wird. Hilfe ohne Forderung nach Gegenleistung erzeugt nicht Dankbarkeit, sondern nur Undank, wie das zu oft von Entwicklungsländern vorgeführt wird. Nahrungsmittelhilfen an vom Hunger geplagten Bevölkerungen helfen zwar Leben retten, wirken sich aber auf Dauer verheerend aus, weil sie auf die Eigeninitiative lähmend wirken.
Das Problem der Entwicklungshilfe ist politisch besonders brisant und aktuell. Leider scheint heute nur ein Rezept vorzuherrschen: mehr finanzielle Mittel.
Ohne hier im Detail auf politische Aspekte näher eingehen zu wollen, ist die Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten an die Bevölkerung besonders für Völker in einer frühen Phase ihrer Evolution viel effizienter als teure industrielle Investitionen. Das vermittelte Wissen und die Fertigkeiten müssen an die sozialen und kulturellen Verhältnissen angepaßt werden. Besonders wichtig ist eine bessere Bildung der Frauen.
Allerdings darf nicht verschwiegen werden, daß auch in demokratisch entwickelten Rechtsstaaten westlicher Prägung in der Wirtschaft das Prinzip der gleich langen Spieße für alle noch längst nicht respektiert wird. Die politische Bevorteilung mächtiger Konzerne mit Tausenden von Angestellten in einer anonymen Arbeitswelt gegenüber den kleineren Unternehmen mit ihrem persönlichen Umgang mit den Angestellten, die ein Ausleben des spontanen Energiezyklus fördert, ist leider im Zuge der Internationalisierung der Wirtschaft und der Bildung immer größerer Konglomerate in unserer Gesellschaft ein weit verbreitetes Übel — was den Kritikern des Kapitalismus als Vorwand für dessen Abschaffung dient.
Die großen Verfechter der Marktwirtschaft wie Wilhelm Röpke [10] haben mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß für die Marktwirtschaft Regeln notwendig sind, deren Fundament „jenseits von Angebot und Nachfrage“ im ethischen Bereich liegen und dem Lernprozeß des Menschen entstammen.
6. Fritsch, B. Zitiert von Nentwig, Wolfgang. Humanökologie. Berlin: Springer. 1995. 51.
7. Watson, John B. Behaviorism. Chicago: University of Chicago Press, 1930.
8. Sell, Friedrich L. Gleichheit ist wenig brüderlich. Grundzüge einer Theorie der optimalen Vielfalt. Neue Zürcher Zeitung; 28. Juni 1997: 147, 39.
9. Bartholomew, James. The Welfare State We're In. London: Biteback Publishing. 2013.
10. Röpke, Wilhelm. Jenseits von Angebot und Nachfrage. 1958. Düsseldorf: Verlagsanstalt des Handwerks. Neuauflage 2009.
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Alexander von Wyttenbach: Die Vernunft als Untertan des Unbewussten.
Betrachtungen, herausgegeben und mit einem Geleitwort versehen von Peter A. Rinck.
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