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Siegfried Ostrowski
Vom Schicksal jüdischer Ärzte im Dritten Reich

Ein Augenzeugenbericht aus den Jahren 1933-1939

Vorstellung und Einleitung von Peter A. Rinck

Ostrowski_cafe

Leitmotiv

Möge, was hier niedergeschrieben wurde, dazu beitragen, die Erinnerung an jene Zeit menschlicher Ver­irrung wach­zu­hal­ten, wie sie die Geschichte der Mensch­heit in solchem Ausmaß und solcher Un­ge­heu­er­lich­keit bisher nicht aufzuweisen hatte.

Den Lebenden und den Kommenden zur Warnung!
Den Opfern zum bleibenden Andenken!



iegfried Ostrowski schrieb diese Erinnerungen Anfang der sech­ziger Jahre. Er ver­öffent­lichte eine erste Fassung in einem Bulletin des Leo Baeck Instituts in Tel Aviv im Jahre 1963 und sandte sie seinem Freund nach Berlin, meinem Vater, — und mir ein Photobuch „Das ist Israel“. Beide stehen seit Jahr­zehn­ten in meinem Bücherschrank.

Im Kleinen Café kamen wir gelegentlich auf die Entwicklungen in Berlin und Deutsch­land — und anderswo — zu spre­chen und ver­gli­chen sie mit der Ver­gan­gen­heit — wie hat es an­ge­fan­gen, wohin hat es sich ent­wickelt?

Siegfried Ostrowskis Beschreibungen der Mentalität der Menschen damals scheinen Parallelen in der deutschen Gesellschaft von heute aufzuzeigen. Dabei muß es nicht immer Antisemitismus sein, der zersetzend wirkt. Es gibt ein breites Spektrum anderer Ideologien, die menschenverachtend, gezielt oder aus purem Unwissen und Dummheit ihrer Anhänger, einen Staat destabilisieren können. Böse Menschen, wie sie Ostrow­ski be­schreibt, finden sich immer.

Deswegen sollte man die Geschichte nicht vergessen und nie den Zusammenhang zwischen den heutigen politischen Ent­wick­lungen und dem Ver­ständ­nis der Ver­gangen­heit aus den Augen verlieren. Wie Wilhelm von Humboldt bemerkte: „Nur wer die Ver­gangen­heit kennt, hat eine Zukunft.“ Ist die Geschichte dabei, sich unter anderen Vorzeichen zu wiederholen?



Ostrowski-portrait

Siegfried Ostrowski wurde am 13. April 1887 in Braunsberg (Ostpreußen) in eine ostpreußische Kaufmannsfamilie hineingebo­ren. Nach der Schulausbildung studierte er Medizin in Berlin. Nach seiner Approbation 1914 ließ sich Ostrowski zum Chirurg ausbilden und arbeitete zunächst als Assistenzarzt am Städtischen Krankenhaus Berlin-Moabit. Später übernahm er den Chefarztposten am Städtischen Hospital Ber­lin-Buch beziehungsweise in Berlin-Mitte.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde er aus dem öffentlichen Dienst entfernt und arbeitete fortan als niedergelassener Arzt sowie an der Poliklinik der Jüdischen Gemeinde bis zum Entzug der Approbation im Jahre 1938. Anschließend übernahm er als „Krankenbehandler“ die chirurgische Abteilung am Krankenhaus der Jüdischen Gemeinde Berlin.

„Die Auswanderung vieler leitender Ärzte der Gemeindepoliklinik — oder ,Krankenhilfe‘, wie sie sich jetzt nur noch nennen durfte — und der Poliklinik des Krankenhauses machte eine geregelte Ar­beit infolge des dadurch hervorgerufenen häufigen Personalwechsels natürlich äußerst schwierig“, erinnerte sich Siegfried Ostrowski.

Nach dem Pogrom von 1938 suchten viele Opfer der November­nacht sowie ins Kon­zen­tra­tions­lager Oranienburg-Sachsenhausen Verschleppte ärztliche Hilfe im Jüdischen Krankenhaus.

„Die Zahl der Einlieferungen wuchs andauernd. Zunächst wagte kaum ei­ner von ihnen zu sprechen, geschweige denn zu erzählen, was man ihnen angetan hatte“, notierte Doktor Ostrowski. „Zahlreiche Kranke, Verstümmelte und Misshandelte passierten das Jüdische Krankenhaus Berlin, das Behandlungszentrum für die in Deutschland verbliebenen Juden und der einzige Zufluchtsort für die vielen Leidenden war.“

Kurz bevor der Zweite Weltkrieg entfesselt wurde, gab Ostrowski am 22. August 1939 seine Tä­tigkeit als Leiter der Chirurgischen Abteilung des Jüdischen Krankenhauses auf und machte sich auf den Weg nach Triest. Dort bestieg er mit seiner Frau das Schiff Galiläa, das sie in die Freiheit nach Palästina brachte.

Dr. Ostrowski bekam 1940 die Erlaubnis in Tel Aviv als Chirurg für die Arbeiter­kranken­kasse Ku­pat Cholim tätig zu werden, deren zentrale chirurgische Praxis er bald bis zu seinem siebzigsten Le­bensjahr leitete. Sein medizinisches Wissen hin­sicht­lich der Fol­gen von körperlicher Gewaltanwen­dung und der damit verbundenen epidemischen Wundinfektionen, die er bei der Behandlung der NS-Opfer machte, veröffentlichte der Arzt 1950 in der israelischen Fachzeitung Acta Medica Orien­talica unter dem Titel Report of an Epidemic of Hospital-Gangrene.

Siegfried Ostrowski verstarb im Alter von 90 Jahren 1977 in Luzern in der Schweiz.


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