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Alexander von Wyttenbach:
Die Vernunft als Untertan des Unbewussten

Vorwort


u Beginn des 21. Jahrhunderts bietet uns ein Blick über die Mensch­­heit und die Um­welt auf un­serem Pla­ne­ten ein be­sor­g­nis­er­re­gen­des Bild. Der Zu­sammen­bruch der kom­mu­ni­sti­­schen Ideo­logie bedeutete das Ende der un­be­wußt ori­en­tie­ren­den Kon­­fron­ta­tion zwi­schen den freien of­fe­nen Ge­sell­schaf­ten und den kom­mu­nist­ischen Dik­ta­turen.

Die westlichen Staaten sind nach einer Phase des stürmischen Wirtschafts- und Wohl­stand­wachstums in eine nie dagewesene Schuldenfalle und wirt­schaft­lichen Krise geraten. Eine maßlose Ressourcenausbeutung und Um­welt­be­las­tung bedroht unseren Pla­neten. Die Entwicklungs- und Schwellenländer wer­den von unzäh­ligen sozialen Unruhen, Kriegen und Terrorismus gebeutelt. Da drängt sich die banale Feststellung auf, daß der Mensch nicht von der Ver­nunft geleitet wird. Die westliche Welt ist orientierungslos, in der übrigen, unter­ent­wickel­ten, namentlich islamischen Welt, breitet sich als Gegenpol und orientierende Kraft, der religiöse Fundamentalismus und zerstörerische Terro­rismus aus.

Es stellt sich die Frage, wo die Welt der westlichen, offenen Ge­sellschaften eine neue Orientierung, einen neuen Weg finden kann. Dafür gibt es nur eine Antwort: gemäß dem Sokratischen „kenne dich selbst“ muß der Mensch zu seinem Unbewußten mit sei­nen Regungen zurückfinden.

In unserer angeblich so aufgeklärten Zeit wird als erstes eine wichtige Tat­sache vergessen oder ver­drängt, nämlich, daß der Mensch primär eine Tierart ist, die zur Gattung der Säugetieren ge­hört, mit all den damit verbundenen biologischen und physiologi­schen Bedürfnissen. Wie die übrigen Tiere ist der Mensch mit ei­nem kollektiven Unbewußten und stammesgeschicht­lich an­ge­bo­re­nen Instinkten, Verhaltensmustern und Energiepoten­tialen ausge­stattet, die die Natur zum Zweck der Arterhaltung vorgesehen hat und die unbewußt sein Leben leiten. Doch als höchstes Wesen der Tier­welt verfügt er zusätzlich über eine Ratio und kognitive Fähigkeit­en, die ihn zu einem bewußten und lern­fä­hi­gen Wesen ma­chen.

Die Tatsache, daß das Unbewußte der Vernunft nicht zugäng­lich ist, verleitet ihn dazu, sein Verhalten als vernunftgeleitet zu be­trachten. Tatsächlich be­nützt der Mensch seine Vernunft, um sein unbewußt bedingtes Verhalten mit Argumenten der Vernunft zu erklären und zu rechtfertigen. Die Forschungen der Verhaltenslehre, der Tiefenpsychologie, der Neurowissenschaften und der Genetik haben wichtige Erkenntnisse gewonnen, die menschliches Verhalten deuten und erklären können — Erkenntnisse, die aber von der Allgemeinheit der Menschen nicht wahrgenommen werden.

Anstatt einer offenen Kommunikation und eines Austausches der Er­kenntnisse zwischen den verschiedenen erwähnten For­schungsrichtungen, herrscht eine Abschottung und nicht die wünschbare Inter­disziplinarität. Dies ist insofern bedauerlich, als die Wahrnehmung der verschiedenen unbewußten Ebenen und Kräfte, die menschli­ches Verhalten leiten, die Lernfähigkeit und Evolution der Mensch­heit fördern und beschleunigen könnte. Viele Probleme unserer Ge­sellschaft und der Menschheit könnten im Lichte dieser Kenntnisse besser verstanden und nachhaltiger gelöst werden.

Die nun folgenden Überlegungen haben nicht den Anspruch einer Wissen­schaft­ lichkeit, sondern dienen ausschließlich dazu, Brücken zwischen dem vor­han­de­nen Wissen zu bauen. Bei der Analyse wer­den einige überraschende Ein­sich­ten möglich.

Es muß natürlich unterstrichen werden, daß der Mensch unend­lich komplex und vielschichtig ist und damit eine umfassende Ana­lyse seines Wesens kaum denkbar wird. So ist eine Trennung von Instinkt, Emotionen und Vernunft nur als Kunstgriff zum bes­seren Verständnis möglich. Die verschiedenen Ebenen des Unbe­wußten interagieren und überschneiden sich, womit unver­meidlich wird, daß gewisse Gesichtspunkte und Deutungen an verschiede­nem Stellen der Betrachtungen wiederholt aufgegriffen werden. Es ist auch nicht möglich, alle mit dem menschlichen Un­bewußten zu­sammenhängenden Ver­hal­tens­aspekte umfassend zu ana­lysieren; es geht nur darum, das menschliche Span­nungs­feld zwi­schen der Ver­nunft und seinem kollektiven Unbewußten, die Bipo­larität des Menschen aufzuzeigen — sozusagen Hermann Hes­ses „Steppen­wolf“, ein Spannungsfeld, das auch die Evolution der Menschheit antreibt.

Last, but not least: Mein Dank an Prof. Peter A. Rinck für seine fruchtbaren Anregungen und freundschaftliche Unterstützung.


Alexander von Wyttenbach
Mondacce, Minusio; Schweiz
April 2014


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Alexander von Wytten­bach: Die Ver­nunft als Unter­tan des Un­bewuss­ten. Be­trach­tungen, her­aus­gegeben und mit einem Ge­leit­wort ver­sehen von Peter A. Rinck.
135 Seiten; €14,90 [DE]
BoD Norderstedt.
ISBN 978-3-7357-4122-6


Inhalt

Vorstellung

Geleitwort
Vorwort

Aphorismen

Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14

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